Heute möchten wir mit einer neuen Blogreihe beginnen. Wir möchten euch Einblicke in unsere vergangenen Veranstaltungen und Fortbildungen geben. Was haben wir gelernt? Was möchten wir an euch weitergeben?
Unsere heutige Gastautorin ist Katharina Tolle. Auf Ihrem Blog Ich Gebäre teilt Sie Geburtsberichte und schreibt über allerlei rund zum Thema Geburt. Sie unterstützt auch andere Frauen dabei ihr Geburtserlebnis durch das Schreiben zu verarbeiten. Wir freuen uns sehr, dass Sie an unserer Veranstaltung teilgenommen hat und diesen Blogbeitrag darüber verfasst hat.
Was genau brauchen Betroffene, aber auch Hebammen, im Fall von frühen Fehlgeburten?
Der Thementag frühe Fehlgeburten des Vereins Normale Geburt e.V. widmete sich einem Thema, das vielfach immer noch stiefmütterlich behandelt wird.
Ich war eine der wenigen Teilnehmerinnen, die keinen fachlichen Hintergrund hatten. Insofern ist diese Zusammenfassung sehr subjektiv zu betrachten.
Frühe Fehlgeburten werden, wie eine Teilnehmerin berichtete, heutzutage häufiger als solche erkannt als früher. Die heutigen Schwangerschaftstests sind manchmal sogar schon vor der ausbleibenden Regelblutung aussagekräftig. Frauen wissen wesentlich früher um die Schwangerschaft und freuen sich entsprechend. Umso härter trifft es sie dann, wenn es zu einem „natürlichen Abgang“ kommt. Und umso wichtiger ist es, die Frauen nicht alleine zu lassen.
Workshop Themen
Die Teilnehmerinnen diskutierten in vier Workshops über frühe Fehlgeburten:
Was brauchen die Akteure im Gesundheitswesen, um eine bessere Versorgung für Familien mit frühem Schwangerschaftsverlust zu ermöglichen?
Wie viel Begleitung und wie viel Selbstbestimmung brauchen "Fehl"geburten?
Wie sähe eine Idealversorgung der betroffenen Familie bei einem (frühen) Schwangerschaftsverlust aus?
Wie können wir uns interdisziplinär vernetzen und zusammenarbeiten, um eine individuelle Versorgung für betroffene Familien mit Wahlmöglichkeiten und Transparenz zu ermöglichen?
Obwohl die Schwerpunkte in jeder Diskussionsgruppe also etwas unterschiedlich lagen, wurden in der Ergebnisrunde viele Aspekte mehrfach aufgeführt.
Woran es happert:
1. Informationsmangel
Offensichtlich wurde, dass es auf verschiedenen Ebenen einen Informationsmangel gibt. Dieser betrifft Betroffene genauso wie Hebammen, Gynäkolog*innen und andere Fachkräfte. Manchmal sind es ganz konkrete Fragen, die nicht beantwortet werden können. Manchmal handelt es sich auch eher um ein diffuses Gefühl von Unwissenheit, bei dem man gar nicht weiß, wo man anfangen soll.
2. Ausbildungsmangel
Viele Hebammen beklagten, dass die Betreuung von Fehlgeburten in ihrer Ausbildung keine oder eine zu kleine Rolle gespielt habe. So wussten viele zwar, dass eine solche Erfahrung traumatisch sein kann, doch hatten sie keine Ideen und Konzepte vermittelt bekommen, wie sie entsprechende Gespräche führen könnten.
Außerdem gab es auch offene medizinische Fragen, zum Beispiel, wie lange nach einer Fehlgeburt mit einer Einleitung gewartet werden kann und inwiefern eine Zusammenarbeit mit einem*einer Gynäkolog*in möglich ist.
3. Zeitmangel
Hebammen haben volle Kalender. Wenn dann noch die Betreuung von ungeplanten Fehlgeburten dazu kommt, sind sie schnell am Rande der Überlastung. Fehlgeburten sind nicht planbar und stellen deshalb alle Fachkräfte vor die Herausforderung, wie diese in den Arbeitsalltag zu integrieren sind. Als Resultat können Betroffene nicht immer angemessen betreut werden.
4. Kooperationsmangel
Hebammen sind auch bei Fehlgeburten erste Ansprechpersonen für Betroffene. Diese Information wird allerdings nicht immer weitergegeben. Gerade für Frauen, die nicht bereits von einer Hebamme betreut werden, ist der Mangel an Kooperationen zwischen Hebammen und gynäkologischen Praxen dann schnell ein Problem. Natürlich gibt es immer wieder auch gut funktionierende Kooperationen. Diese sind, so die Meinung der Teilnehmerinnen, allerdings leider eher die Ausnahme denn die Regel.
5. Übungsmangel
Wer noch nie eine Fehlgeburt betreut hat, fühlt sich unsicher – erst Recht, wenn die theoretischen Grundlagen ebenfalls nur rudimentär vorhanden sind. Dieser Übungsmangel ist laut Aussage einiger Hebammenschülerinnen strukturell begründet.
Die Folge ist Unsicherheit im Umgang mit kleinen Geburten
Aus all diesen Aspekten resultiert – wenig überraschend – eine Unsicherheit im Umgang mit Fehlgeburten. Dies betrifft sowohl die Familien als auch das Fachpersonal.
„Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden kann. Ich will auch bloß keine Ablehnung erfahren, also stehe ich das irgendwie alleine durch“, denkt sich dann vielleicht manche Betroffene.
„Ich will bloß nichts falsch machen – also betreue ich lieber gar keine Fehlgeburten“, gestand eine Teilnehmerin. Diese Unsicherheit ist verständlich. Und sie zeigt, dass die fehlenden Informationen, Zeit, Kooperation und Übung häufig dazu führen, dass die Betroffenen allein gelassen werden.
Dieser Zustand ist natürlich nicht tragbar.
Lösungsansätze
In den verschiedenen Workshops ging es deshalb auch sehr konkret darum, welche Ideen schnell und einfach umgesetzt werden können und welche größeren Änderungen angestoßen werden sollten, um die Situation von Familien und Fachpersonal gleichermaßen zu verbessern.
Die folgende lose Liste gibt einen Eindruck in die Ideensammlung:
Informationen streuen
über Abrechnungsmöglichkeiten
über naturheilkundliche Hilfe
über praktische Ideen wie eine Tupperdose zum Auffangen
über die Zuständigkeit von Hebammen bei Fehlgeburten
Flyer auflegen als Info für schwangere Frauen, die dann in den gynäkologischen Praxen ausgegeben werden
Öffentlichkeitsarbeit mit Medien: Zeitungsartikel, Interview, Apothekenrundschau
Angebote auf den Webseiten und Flyern der Hebammen inkludieren
Erfahrungsaustausch Betroffener ermöglichen
über Kliniken, die gute Betreuung anbieten
Weleda hat einen Flyer erstellt, eignet sich aber nicht, um von jeder Gynpraxis ausgestellt zu werden
Hebammenlisten in denen Hebammen die „Fehlgeburten“ begleiten gezielt aufgelistet werden
komplexe, professionell betriebene Internetseite zu der alles was annähernd im Internet zum Thema Fehlgeburt, recherchiert werden kann führt; die sowohl Hebammen (oder Gynpraxen) als auch Frauen und Begleitpersonen umfangreich informiert und die an eine Hotline (auch professionell betrieben) gekoppelt ist – wer würde so etwas bezahlen?!
Kooperationen aufbauen
gynäkologische Praxen mit Hebammen vernetzen, die Fehlgeburten betreuen
Labore finden, die kurzfristig Kapazitäten haben
Hebammenlisten in denen Hebammen die „Fehlgeburten“ begleiten gezielt aufgelistet werden
Trauerbegleitung
Bestatter / Friedhof
Väterbegleitungen auch durch andere Väter
Therapeut*innen aus verschiedenen Bereichen, z.B. Kunsttherapie
Es gibt bereits Initiativen und Einzelpersonen, die viel Wissen gesammelt haben. Beispiele:
initiative Regenbogen – schicken auch Infomaterial zu
Mein Sternenkind
Fehlgeburt (Staude Verlag)
Geburt Berlin Heft (das auch in den GynPraxen ausliegt) – nicht aktuell
Websites Schatten und Licht und Geburt – nicht aktuell
Kindsverlust.ch – Franziska Maurer allen voran, die Mitbegründerin der Fachstelle ist und viele tolle Fortbildungen anbietet
Vorbereitet sein
Gute Anamnese durchführen, in der auch frühere Fehlgeburten und Risiken abgefragt werden
Wie viel Zeit habe ich für spontane Fehlgeburten? Wie viel Zeit kann ich bei der Krankenkasse auch für Gespräche abrechnen?
Wann braucht es eine persönliche Betreuung, wann reicht eine telefonische Bereitschaft?
Intervision und Supervision anbieten
Umgang mit eigener Trauer
Politische Arbeit, um die Abrechnungsmöglichkeiten konkreter auszugestalten
Fachwissen aufbauen
Dokumentation und QM müssen auch für Fehlgeburten gelten
Begleitung von Familienmitgliedern
Leitlinie erarbeiten
QUAG beginnt eine AG für Fehlgeburten (und palliative Geburten)
Hebammenschülerinnen durften im ersten Jahr bei Fehlgeburten nicht dabei sein; danach hätten sie gedurft aber in der Klinik gab es keine. Diese Diskrepanz muss aufgelöst werden.
Spezielle Rückbildungsangebote schaffen
Achtsame Sprache lernen, vertiefen und üben
Gesetzliche Vorgaben, z.B. zu Personenstandsgesetz und Bestattungsvorgaben
Keine Haftpflichtversicherung nötig zur Begleitung kleiner Geburten?
Schweigepflichtregelungen
Fazit
Besonders angenehm am Thementag war für mich die offene, ehrliche und wertschätzende Atmopshäre. Es wurde deutlich, dass die teilnehmenden Hebammen Fehlgeburten keineswegs als unwichtig oder als Randthema ihrer Arbeit ansahen.
Vielmehr gehörte zu ihrem Berufsbild eindeutig auch die Betreuung von Familien mit einer Fehlgeburt.
Das macht Hoffnung.
Denn ehrlicherweise würden alle Initiativen nichts nutzen, wenn die entsprechenden Menschen nicht mit dem Herzen dahinter stünden.
Als Betroffene Sternenkindmama möchte ich an dieser Stelle deshalb ausdrücklich allen Hebammen meinen Dank aussprechen, dass sie auch kleine Geburten betreuen – trotz der Probleme und Herausforderungen, die ich oben gelistet habe. Dies gilt natürlich ganz besonders für „meine“ Hebamme, mit deren Betreuung ich alle meine vier Kinder – drei Wuselkinder und ein Sternchen – zur Welt gebracht habe.
Sollte ich den Thementag in einem Satz zusammenfassen, wäre es wohl folgender:
Frühe Fehlgeburten müssen für alle Beteiligten raus aus der Tabuzone – sowohl für Betroffene als auch für Fachkräfte!
Der Thementag kann auf diesem Weg nur ein kleiner Schritt sein. Viele weitere müssen folgen. Dieser erste Schritt hat mir persönlich Mut gemacht, dass wir gemeinsam auch die weiteren Schritte gehen können.
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