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AutorenbildNormale Geburt e.V.

Hebammenarbeit weltweit: Tansania

Heute möchten wir mit einer neuen Blogreihe beginnen. Wir möchten euch Einblicke in die Hebammenarbeit weltweit ermöglichen und den Anfang macht eine Hebamme, die für eine Zeit nach Tansania gegangen ist:


"Asante, Asante! Sie strahlen und bedanken sich! Eine Frau gab mir vor den Augen aller spontan mit ihren dicken Lippen einen Kuss auf die Wange. Übrigens gratuliert hier auch niemand nach der Geburt den Frauen. Wir machen das! Mit Händen und Füßen und Google Translate geben wir ihnen zu verstehen, wie großartig sie sind. Und die Frauen freuen sich! So habe ich, denke ich, erstmal einen Weg gefunden, um mit der Situation zurecht zu kommen. Unsere Aufgabe ist es wohl ein wenig Menschlichkeit in den Kreißsaal zu bringen."

Teil 1:

Liebe Freunde,

Heute, nach über zwei Wochen in Tansania, möchte ich euch das erste Mal von mir und meiner Arbeit berichten. Ich bin gut am 6. Januar um 2.30 Uhr gelandet. Hamisi, mein Betreuer vor Ort, holte mich ab. Wir fuhren zum Student House, wo noch andere Volontäre wohnen. Der Weg führte uns über unzählige Schlaglöcher, in eine Gegend, wo ich erstmal tief durchatmen musste. Oh je!

Da ich über 50 bin, habe ich ein extra Zimmer. Es ist einfach, aber sauber! Das Bad oder eher die Toilette mit der Dusche teile ich mir mit Hamisi und seiner Familie. Einen kurzen Moment dachte ich, oh Gott, was tue ich hier eigentlich. Am nächsten Morgen habe ich dann die anderen Volontäre kennengelernt. Fast alle arbeiten im gleichen Hospital, wie ich, nur sind sie in verschiedenen Abteilungen. Sie arbeiten in der Rettungsstelle, auf der Intensivstation und auf der Inneren Station. Fast alle sind in der Ausbildung zur Krankenpflege oder Medizinstudenten.

Ich wurde wirklich sehr, sehr herzlich empfangen.

Nachdem ich mit Hamisi noch zweimal mit dem Motorrad! zum Konsulat fuhr, hatte ich dann auch mein Business Visum. Ich brauche das unbedingt hier, sonst hätte ich nicht arbeiten können. Zusammen mit Katharina*, die einen Tag später anreiste, fing ich auf der Geburtsstation an. Katharina* ist 18 und hat gerade ihr Abitur gemacht. Was für ein Glück, dass wir zu zweit waren. Die Klinik liegt direkt am Meer und ist die größte in Tansania. Wir wurden vom Direktor begrüßt und kurz eingewiesen. Unter anderem, wie die Klospülung funktioniert und dann ging es in die Maternity Abteilung.

Ein Geruch von Schweiß, Blut und Fruchtwasser schlug uns entgegen. Eine Hebamme empfing uns und zeigte uns in fünf Minuten die Räume und ließ uns dann allein. Überall schrien Frauen und Kinder, auch hier war es irre heiß. Die erste Woche war ich nur im Schock! Ich war entsetzt unter welchen unwürdigen Zuständen die Frauen hier gebären müssen! Wie viel sie aushalten! Über 50 Kinder kommen hier täglich auf die Welt! Auf die Frage, wie viele Geburten wir im Jahr haben, traute ich mich nicht 340 zu sagen und wollte auch nicht erklären, was Geburtshäuser sind, sondern klaute mal die Zahlen aus dem Westend Krankenhaus und sagte: 2500. Da haben sich die Hebammen kaputt gelacht. Jede Frau in Tansania bekommt im Schnitt vier Kinder, oft auch mehr! Als ich auf die Frage antwortete, wie viele Kinder ich habe, sagten sie: Oh, you are so lazy! Ich bin so faul! Naja!

Es gibt einen Raum mit acht Betten, in denen die Frauen sind, deren Muttermund 0 bis 3 cm offen ist. Dort liegen die Frauen zu zweit, manchmal auch zu dritt in einem! Bett. Dann gibt es einen zweiten Raum für die Frauen, deren Muttermund 4 bis 10 cm ist. Da geht es schon richtig zur Sache. Auch da sind die Frauen zu zweit in einem Bett. Im dritten Zimmer sind Patientinnen mit hohem Risiko ( Diabetes, Frühgeburten, Bluthochdruck). Alle vier Stunden werden die Frauen, vor den Augen aller anderen, vaginal untersucht und es werden Herztöne gehört. Wenn der Muttermund vollständig ist, geht es in den Kreißsaal, wo oft 10 Leute auf die Scheide der Frau starren und sich unterhalten. Im Kreißsaal werden keine Herztöne mehr gehört. Alle Fruchtblasen werden eröffnet! Wenn das Kind nicht gleich kommt, werden Wehentröpfe angehangen oder die Hebammen zupfen wie wild und ohne Vorwarnung an den Brustwarzen der Frauen, um Wehen zu erzeugen. Die Frauen liegen natürlich zur Geburt in Rückenlage. Alle Hebammen schreien und leiten zum Dauerpressen an. Wenn das Baby da ist, kommt es nur kurz auf den Bauch. Die Plazenta wird raus gezottelt, natürlich gibt es vorher Oxytocin gespritzt. Die Frau wird eventuell genäht und steht sofort danach auf, um sich mit Wasser abzuspülen und auf die Station zu gehen. Aber manchmal gibt es auch kein Wasser.

Der Kreißsaal ist super dreckig! Überall ist an den Wänden altes Blut, die Betten werden gar nicht oder nur kurz abgewischt und dann ist schon die nächste Frau drauf. Die Frauen bekommen ihre Babies auf schwarzen Mülltüten. Es gibt für jede Geburt drei Binden und zwei Unterlagen - mehr nicht! Die Pakete waren letzte Woche allerdings auch alle. Es sind schlimme Zustände, aber damit hab ich ja fast ein bisschen gerechnet.

Womit ich nicht gerechnet habe und was mich am meisten schockiert ist wie mit den Frauen und Babies umgegangen wird! Obwohl genügend Personal da ist, kümmert sich keiner um die Frauen, die Schmerzen haben. Keiner spricht ihnen Mut zu, keiner hält die Hand, massiert den Rücken. Die Hebammen und Ärzte sind laut und oft böse, untersuchen brutal und ohne jede Vorwarnung. Sie schimpfen und schreien und lachen gemeinsam die Frauen aus, die nach ihrer Mama rufen. Ich war die ersten Tage fix und fertig, fast wie in Schockstarre! Am zweiten Tag starb eine Frau und ein Kind und so musste ich mich auch noch um die 18 jährige Katharina* kümmern, die ohnmächtig wurde und am Boden zerstört war. Am Abend habe ich nur noch geweint und trotz der 33 Grad eine Kerze angezündet. Hier ist keine Zeit für Trauer! Ich war so verzweifelt und wenn ich meinen Partner nicht gehabt hätte und den Zuspruch einiger Freundinnen, wäre ich kaputt gegangen. Hinzu kommt, dass ich körperlich sehr angestrengt bin. Ich renne, wie in alten Ausbildungszeiten durch die Gegend und bin durch die Wärme im Schweiß gebadet.

Jeden Tag gehe ich nach der Arbeit in ein Café an den Strand, trinke meinen ersten und einzigen Kaffee und schreibe Tagebuch. Ich bin gar nicht mehr mit meinem Kopf hinterher gekommen. Ich konnte zeitweise keine Touristen mehr sehen und die Schönheit der Insel war mir auch egal! Aber seit ein paar Tagen ist der Knoten geplatzt. Eine weitere Hebammenschülerin aus Belgien fing im Kreißsaal an zu arbeiten. Sie hat immer extrem gute Laune, schäkert mit allen Hebammen rum und macht eine unglaublich gute Stimmung. Zu dritt kümmern wir uns um die Frauen im Vorwehenzimmer, halten Hände, verscheuchen Fliegen und holen was zu trinken für die Frauen. Wenn der Kopf zu sehen ist, rufen sie mich und ich lass das Baby dann raus. Wir geben den Frauen zu verstehen, dass sie leise sein sollen, wenn die Hebammen mal ausnahmsweise vorbei schauen. Und das machen sie auch alle! Wir brauchen kein Wort Suaheli. Die Frauen spüren sofort, wer es gut mit ihnen meint. Und so haben wir schon einige Frauen vor diesem furchtbaren Kreißsaal bewahrt! Wenn wir doch rüber müssen, stehen Katharina* und ich wie eine Wand vor den Frauen und lassen niemanden ran. Emma*, die Belgierin, schnattert ununterbrochen mit den Hebammen und stellt Fragen. Viele fühlen sich geschmeichelt. Wir sind das perfekte Team!!! Und die Frauen sind so glücklich! Asante, Asante! Sie strahlen und bedanken sich! Eine Frau gab mir vor den Augen aller spontan mit ihren dicken Lippen einen Kuss auf die Wange. Übrigens gratuliert hier auch niemand nach der Geburt den Frauen. Wir machen das! Mit Händen und Füßen und Google Translate geben wir ihnen zu verstehen, wie großartig sie sind. Und die Frauen freuen sich! So habe ich, denke ich, erstmal einen Weg gefunden, um mit der Situation zurecht zu kommen. Unsere Aufgabe ist es wohl ein wenig Menschlichkeit in den Kreißsaal zu bringen. Noch lachen alle über uns, aber sie beobachten uns auch sehr genau.

Am Wochenende fahren wir alle ans Meer! Das tut mir auch gut. Die schönen Strände zu genießen, sich auszutauschen, aber auch allein zu sein. Ich bin demütiger geworden. Die Frauen und Hebammen in Deutschland haben es so viel besser, als hier.

Ich wünsche euch allen eine gute Zeit! Liebe Grüße , Sabine*!


* Name wurde geändert

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